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Operating System "Steinzeit"

Die Wahrscheinlichkeitsrechnung ist vielleicht eine der unbeliebtesten Disziplinen für Studierende. Es gibt nur wenige "Easy-take-aways" und es ist notwendig, sich mit komplizierten Formeln und abstrakten Denkweisen auseinanderzusetzen. Auch wird nicht direkt klar, wie die Aussagen der mathematischen Wahrscheinlichkeitstheorie denn überhaupt helfen sollen, ein Unternehmen besser zu führen oder - wo auch immer - klügere Entscheidungen zu treffen.


Die Wissenschaft hat uns in den letzten 30 Jahren eindrucksvoll gezeigt, dass unser Gehirn bei Denkvorgängen systematische Fehler macht. Bei manchen relativ einfachen Aufgabenstellungen versagt unsere Intelligenz komplett und dafür gibt es massig Beispiele. Das ist sehr verständlich, denn unser Gehirn wurde in den letzten paar Millionen Jahren programmiert: Die Aufgaben, die es zu lösen hatte, waren andere als heute. Als Steinzeitmensch war es beispielsweise wichtig, schnell zu laufen und dabei einen Speer im richtigen Winkel zu werfen. Heute gilt es jedoch, andere Probleme zu lösen und die Evolution hatte noch nicht genug Anpassungszeit.

Heutzutage haben wir 200-Megabyte Excel-Tabellen, 50-Seiten Berichte aus dem Controlling, progressive Steuertarife und umfangreiche SWOT-Analysen. Unsere "Kontrahenten" sind keine schnellen Tiere, sondern intelligente CEOs, Kunden oder Lieferanten mit eigenen Vorstellungen. Um in dieser Welt erfolgreich zu sein, ist es sehr hilfreich, Informationen in Wahrscheinlichkeiten zu interpretieren. Eine sehr kurze Gegenüberstellung:


Information in Steinzeit: "Lautes Rascheln im Gebüsch"

-> Wahrscheinlichkeit einer Bär-Attacke: über 50%


Information in 2021: "EZB versiebenfacht M0-Geldmenge"

-> Wahrscheinlichkeit einer Inflation: ?


Lassen Sie mich Ihnen ein aktuelles Beispiel dafür geben, wie wir Informationen falsch interpretieren: Angenommen, Sie wollen auf eine Dienstreise und müssen dafür einen Corona-Test ablegen, obwohl Sie sich nicht kränklich fühlen. Wenn dieser nun positiv ausfällt, wären Sie geschockt und würden auf Symptome warten. Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, nun tatsächlich erkrankt zu sein? Nebeninfo: Der Test hat eine Spezifität von 98%. Tatsächlich Gesunde werden also mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Resultat "Gesund" bekommen.


Der Satz von Bayes (Formel sehen Sie in der Sprechblase im Titelbild) sagt uns aber, dass es viel wahrscheinlicher ist, dass es sich hier um ein falsch-positiv Ergebnis handelt; der sogenannte alpha-Fehler. Eine Beispielrechnung des RKI zeigt (Link), dass ein positives Testresultat eines Antigen-Massentests auf eine Wahrscheinlichkeit von unter 5 % deuten lässt, tatsächlich erkrankt zu sein. Wenn Sie jedoch gezielt getestet werden, weil Sie beispielsweise Symptome haben oder Kontakt zu Infizierten, dann steigt diese Wahrscheinlichkeit auf über 80 %.


Es ist aber nicht nur die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten, die uns ohne mathematische Ausbildung schwer fällt, sondern auch die Interpretation. Aus dem eben Gesagten kann man nicht rauslesen, dass Corona-Tests nicht helfen. Man kann auch nicht herauslesen, dass Corona-Tests zu über 95 % falsch liegen. Es lässt sich vor allem nicht rauslesen, dass ich gegen Corona-Maßnahmen oder gegen Corona-Tests bin. Es ist vielmehr ein Erklärungsversuch, warum die Politik in der Regel keine Massentests durchführt.


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