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Leitzinsen: Ein paar Grundlagen

Aktualisiert: 29. Juli 2022

Vergangenen Donnerstag hat die EZB angekündigt, die Leitzinsen von 0% auf 0,5% zu erhöhen. Doch was bedeutet das überhaupt? Kernstück dieses Beitrags sind die Auswirkungen auf Unternehmen (und deren Aktien) und auf unsere Wirtschaft (#Krise). Aus didaktischen Gründen ist der Beitrag im Frage/Antwort Stil aufgebaut und ist an manchen Stellen etwas oberflächlich.

Was sind Zinsen? Wenn jemand Geld (bzw. Kapital) verleiht, dann ist das typischerweise nicht umsonst. Zinsen sind höher, wenn der Schuldner ein hohes Risiko mit sich trägt und normalerweise auch, wenn das Geld für einen längeren Zeitraum benötigt werden.


Was sind Anleihen? Sehr große Unternehmen und Staaten gehen nicht zur Bank wenn sie Geld brauchen. Sie verkaufen Wertpapiere an quasi Jedermann. Auf den Wertpapieren steht dann drauf "Vielen Dank für die 1000 Euro, die bekommst Du in x Jahren wieder und bis dahin bekommst Du jedes Jahr x% Zinsen" (der genaue Wortlaut ist komplizierter). So kann man sich von sehr vielen Leuten (man redet dann vom Kapitalmarkt) Geld leihen.


Was ist der Leitzins? Eigentlich heißt dieses Konstrukt Hauptrefinanzierungsfazilität (kurz: Hauptrefi) und beschreibt den Zins, den Banken bezahlen müssen, wenn sich diese für eine Woche Geld von der EZB leihen. Seit dem 16. März 2016 war das umsonst. Ab kommenden Mittwoch (27.07.2022) wird dieser Zins auf 0,5% steigen und es wird erwartet, dass dieser künftig noch weiter steigen wird. Dieser Hauptrefi ist sehr wichtig, denn wenn dieser steigt, dann steigen tendenziell alle anderen Zinsen auch (für Immobilienkredite, Privatkredite, etc.) um ein VIELFACHES.


Was ist das aktuelle Problem? Wir sind hochverschuldet (Problem Nr. 1)! Doch wen meine ich mit "wir"? Damit meine ich:

1. Die Staaten (so ziemlich alle, außer Macau, Hong Kong und beispielsweise Kuwait). Um Straßen zu bauen, Beamte zu bezahlen, und auch um wiedergewählt zu werden (die Aussage ist eher frech, daher muss ich grinsen), haben sich Staaten über Anleihen sehr heftig verschuldet. Deutschland hat eine Verschuldung von mehr als 2 Billionen Euro (das sind pro Person, darunter zählen auch Kinder, ca. 30.000 Euro)

2. Unternehmen finanzieren einen Großteil ihres Vermögens mit Fremdkapital (das wird gleich noch sehr wichtig für diesen Artikel). Das typische deutsche Unternehmen hat mehr als 60% ihrer Aktiva "auf Pump gekauft".

3. Privatpersonen finanzieren sich Häuser, Autos und einen YOLO-Lifestyle (Anmerkung: YOLO ist ein Akronym für "you only live once"). Ca. 6 Millionen Menschen in Deutschland sind überschuldet, haben also echt harte Probleme mit der Bank (Fachbegriff: Zahlungsstörungen).


Warum hat die EZB die Zinsen erhöht? Da wir so hohe Schulden haben, waren die niedrigen Zinsen ein Segen für Schuldner. Allerdings haben wir gerade Inflation (Problem Nr. 2). Um diese abzumildern, muss die EZB die Zinsen anheben (auch wenn Sie das nur ungern macht). Warum genau das so ist, lasse ich mal außen vor; das würde den Rahmen sprengen.


Sind höhere Zinsen gut? Das kommt auf die eigene Situation an. Wenn Sie Geld anlegen möchten, finden Sie höhere Zinsen super! Wenn Sie Schulden machen wollen, dann finden Sie höhere Zinsen schlecht.


Welche Auswirkungen haben höhere Zinsen auf Aktien? Jetzt wird es spannend, jeder einzelne der folgenden Sätze ist sehr wichtig. Es sind eigentlich echt Grundlagen, doch in Gesprächen mit meiner Umwelt fällt mir auf, dass auch "alte Hasen/Häsinnen" dabei enorme Defizite haben. Eine Anekdote: In vielen BWL Büchern liest man, dass man aus der Bilanz eines Unternehmens den Unternehmenswert ablesen kann. Das ist kompletter Humbug, auch wenn ich ein eher ruhiges Gemüt bin (Selbsteinschätzung), möchte ich bei diesem Satz rumschreien. Beispiel: Twitter hat eine Bilanzsumme von ca. 6,5 Milliarden $. Wenn man jedoch aktuell den Wert aller Aktien zusammenrechnet, dann sind wir bei ca. 30 Milliarden $ (&Nein, ich werde jetzt nicht über Elon Musk reden).


Fangen wir langsam an: Die Märkte schätzen permanent den Wert eines Unternehmens ein: Ist eine Aktie zu billig, dann wird Sie gekauft und steigt dadurch im Wert. Ist sie zu teuer, dann wird diese verkauft und fällt im Wert.


Es wird etwas schwieriger: Was ist der Wert eines Unternehmens? Fragen Sie sich, was Sie bereit wären für eine magische Box zu bezahlen, die Ihnen für die nächsten 10 Jahre jedes Jahr 1000€ ausspuckt. Jemand der heute 10.000 € für die Box bezahlen würde, hätte zuviel bezahlt, denn die jeweils 1000 € bekommt man ja erst in der Zukunft. Um den Wert der Box zu berechnen, muss man die zukünftigen 1000 € jeweils diskontieren (abzinsen). Beispiel: Ist der Zinssatz draussen 2%, so sind 1000€, die man von mir aus in 7 Jahren bekommt aus heutiger Sicht nur 870 € Wert (1000 geteilt durch 1,02^7). Würden Sie nämlich 870 € heute für 2% anlegen, so hätten Sie nach 7 Jahren 1000 € (870 mal 1,02^7). Der Wert der Box ist damit bei 2% Zinsen (wenn man es für alle Jahre ausrechnet und summiert): 8983 Euro. "Alles chico?" dann weiter:


Ein Unternehmen ist sehr ähnlich zu der magischen Box: Es spuckt den Eigentümern (Aktionären) jedes Jahr eine Dividende aus. Die zukünftigen geschätzten (!) Dividenden müssen diskontiert und aufsummiert werden und dann hat man den Unternehmenswert (analog: Den Wert der Box). Ein Problem ist natürlich, dass man nicht genau weiß, wieviel ein Unternehmen in der Zukunft ausspuckt, aber auch das würde den Rahmen hier sprengen. Der Punkt ist der: Wenn die Zinsen von 2% auf 5% steigen, dann ist die Diskontierung stärker und die Box hätte nur einen Wert von 7722 Euro. Schlecht für den Unternehmenswert und damit auch für Aktien.


Aber es geht noch weiter: durch die höheren Zinssätze, müssen Unternehmen auch mehr Zinsen für ihr Fremdkapital bezahlen. Dadurch wird weniger Gewinn erwirtschaftet und die Dividendenzahlungen in der Zukunft gehen auch zurück. Bei Unternehmen, die sowieso nicht gut dastehen, kann das eine schlimme Krise auslösen, man redet dann von Zombieunternehmen.


Welche Auswirkungen haben die höheren Zinsen auf die Wirtschaft? Wie gerade dargelegt, gefallen den Unternehmen die höheren Zinsen nicht. Unsere Unternehmenslandschaft bekommt dadurch einen Dämpfer. Manche Unternehmen müssen vielleicht schließen, was wiederum Arbeitslosigkeit verursacht. Zudem wird es für den Staat schwieriger: Auf die bestehenden Schulden müssen höhere Zinssätze gezahlt werden, dadurch steht weniger Geld für andere Sachen bereit. Zudem sehen wir gerade Probleme mit beispielsweise Italien. Da die EZB die Zinsen erhöht, steigen bei uns in Deutschland die Zinsen moderat und in Italien eher stark. Nicht nur für den italienischen Staat, sondern auch für die italienischen Unternehmen. Italien kann aber dagegen nichts machen, da sie ihre Geldhoheit an die EZB abgetreten hat. Die EZB kann aber Italien nicht gezielt helfen, da ihr eine Staatsfinanzierung untersagt ist. Daher kann es sein, dass Italien keine Lust mehr auf eine gemeinsame Währung hat. Und zack: Wir haben eine ähnliche Situation wie 2011/2012, als wir über den Austritt von Griechenland diskutiert haben. Wir können also von einer Zinskrise UND von einer Währungskrise reden.


Daneben haben wir die Energiekrise, die Corona-Krise, Lieferkettenkrise, Ukraine-Russland-Krise, damit verbunden die humanitäre Krise (bisher 90.000 Tote Soldaten durch den Krieg) die Rohstoff-Krise (auch Nahrungsmittel) und die Krise, dass wir aktuell über einen möglichen Atomkrieg reden. Zudem haben wir eine Rentenkrise, Klimakrise, mehrere geopolitische Krisen und dann ruft die WHO noch eine internationale Notlage wegen Affenpocken aus. Man kann sagen: Es ist kompliziert. Oder anders: Wir müssen uns um die Unsicherheiten der Zukunft Gedanken machen (Fachbegriff: Risikomanagement).


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